Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Was die Politik dagegen tun kann, zeigt eine Studie des IMK.
Dass Ungleichheit ein gravierendes Problem darstellt, zeigen die IMK-Forscher anhand der neuesten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Dabei haben sie die Bevölkerung in drei Einkommensgruppen eingeteilt: Wer weniger als 70 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, gehört finanziell zur unteren Schicht, wer mindestens 150 Prozent ausgeben kann, zur oberen, der Rest zur Mitte. Den Berechnungen zufolge ist das durchschnittliche verfügbare Einkommen der oberen Gruppe von 1991 bis 2014 real um gut 17 Prozent gestiegen, das der Mitte um zehn Prozent. Die Geringverdiener mussten sich dagegen über den Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten mit Zuwächsen von insgesamt knapp drei Prozent begnügen. Die Diskrepanz zwischen den Einkommensklassen hat sich also deutlich vergrößert. Zugleich ist die Mittelschicht geschrumpft: Der Anteil der Haushalte mit 70 bis 150 Prozent des mittleren Einkommens hat zwischen 1991 und 2014 von 63 auf 56 Prozent abgenommen.
Diese Entwicklung lasse sich nicht mit einer einzelnen Maßnahme umkehren, schreiben die Wissenschaftler. Erforderlich sei ein „Bündel politischer Entscheidungen, die die Regeln wirtschaftlichen Handelns so verändern, dass einerseits die wirtschaftliche Dynamik erhalten bleibt, anderseits die Ungleichheit vermindert wird“. Die nötigen Weichenstellungen reichen laut IMK von Änderungen bei der Arbeitsmarktregulierung über steuerpolitische Maßnahmen bis hin zu Initiativen für eine gerechtere Verteilung von Kapitaleinkommen.
Die Starken mehr beteiligen
Um Gutverdiener stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, seien Änderungen des Steuersystems unumgänglich, so die Experten. Sie schlagen unter anderem vor, Unternehmensgewinne durch das Schließen von Schlupflöchern effektiver zu besteuern, private Steuerflucht konsequent zu verfolgen, den Spitzensteuersatz anzuheben, die überzogene Privilegierung von Unternehmenserben bei der Erbschaftsteuer abzuschaffen und die Vermögensteuer zu reaktivieren. Um auszuschließen, dass höhere Steuern Unternehmen in Schwierigkeiten bringen, halten es die Forscher für sinnvoll, dass der Staat mit den geschuldeten Summen als stiller Teilhaber einsteigen kann. Die Anteile würde ein Staatsfonds verwalten.
Ein wichtiger Schritt wäre darüber hinaus die Umwandlung der Grundsteuer in eine Bodenwertsteuer, so das IMK. Eine Reform der Grundsteuer, die mit 13 Milliarden Euro für einen erklecklichen Teil der kommunalen Einnahmen verantwortlich ist, sei wegen eines anhängigen Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht ohnehin fällig. Der Übergang zu einer reinen Bodenwertsteuer hätte den Vorteil, dass die Belastung je Wohneinheit umso geringer ausfällt, je intensiver ein Grundstück genutzt wird. Das heißt: Die Bewohner von Ein- oder Zweifamilienhäusern, die oft auch die Eigentümer und vergleichsweise wohlhabend sind, werden stärker belastet. Die Bewohner von mehrgeschossigen Gebäuden – typischerweise Mieter – werden entlastet. Der größere Anreiz für die effiziente Nutzung von Grundbesitz dürfte zudem dazu beitragen, die Wohnungsknappheit in Ballungsgebieten zu lindern.
Zudem empfehlen die Forscher einen neuen Anlauf bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Da die betroffenen Akteure an den Finanzmärkten in der Regel gut betucht sind, könnte eine solche Steuer nach Einschätzung der IMK-Forscher einen nennenswerten Beitrag zum Abbau der Ungleichheit leisten. Einen konkreten Vorschlag der EU-Kommission, der Steuersätze von 0,1 Prozent auf Wertpapiertransaktionen und 0,01 Prozent auf den Handel mit Derivaten vorsieht, gibt es bereits. Das Sitzlandprinzip soll dabei verhindern, dass sich Handelspartner der Besteuerung durch Verlagerung der Geschäfte entziehen. Schätzungen zufolge würde der deutsche Fiskus zehn bis elf Milliarden Euro pro Jahr einnehmen. Die für Anfang 2018 beschlossene Umsetzung, an der sich zehn Länder inklusive Deutschland beteiligen wollten, wurde allerdings wegen der laufenden Brexit-Verhandlungen auf Eis gelegt – ein Fehler, mahnen die Wirtschaftsforscher.
Die Mitte stärken
Zu den Vorschlägen, die auf eine Stärkung der Mittelschicht abzielen, gehören mehr Kindergeld statt Ehegattensplitting und die Entlastung finanzschwacher Kommunen als Beitrag zu einer besseren öffentlichen Infrastruktur.
Auch mit einem „bedingungslosen Kapitaleinkommen“ wäre der Mittelschicht nach Analyse des IMK geholfen: Kapitaleinkünfte seien bei der Oberschicht konzentriert, weil die Angehörigen der unteren und mittleren Einkommensklassen kaum Ressourcen zum Investieren übrig haben. Abhilfe schaffen könnte ein Staatsfonds, der in Wertpapiere investiert und die Rendite jährlich zu gleichen Teilen an alle Bürger ausschüttet. Der Aufbau eines solchen Fonds könnte aus Haushaltsüberschüssen geleistet werden sowie aus stillen Beteiligungen an Unternehmen, die sich aus Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Erbschafts- und der Vermögenssteuer ergeben, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler.
Zurzeit sollten allerdings Investitionen in die Infrastruktur Priorität haben, betonen die Ökonomen. Verbesserungen, etwa bei der frühkindlichen Bildung und an Schulen, bringen nach Auffassung der Forscher für mittlere und niedrigere Einkommensschichten mehr als allgemeine Steuersenkungen, die nach den vorliegenden Konzepten der Parteien zu einem guten Teil einkommensstarken Haushalten zugutekommen würden.
Die Armut reduzieren
Geeignete Mittel gegen Armut wären der Analyse zufolge die Eindämmung prekärer Beschäftigung und eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Zusätzlich sollte der Mindestlohn schneller steigen. Warnungen vor horrenden Beschäftigungsverlusten durch eine gesetzliche Lohnuntergrenze hätten sich nicht bestätigt, stellen die IMK-Wissenschaftler fest. Sie hätten aber dazu geführt, dass der Mindestlohn mit nur 8,50 Euro pro Stunde angesetzt wurde – im internationalen Vergleich ein eher bescheidenes Niveau, wenn man das Verhältnis zum mittleren Lohn zum Maßstab nimmt. Um daran etwas zu ändern, müsste der Mindestlohn stärker steigen als der Medianlohn. Das heißt: Die Kommission, die für die Anpassung zuständig ist, sollte sich nicht wie bisher allein an der Reallohnentwicklung orientieren, sondern einen Aufschlag einkalkulieren.
Neben den Niedriglöhnern sollte die Politik Langzeitarbeitslose nicht zurücklassen. Das setzt nach Auffassung des IMK eine angemessene Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes voraus. Der derzeitige Anpassungsmodus enthalte einen „Automatismus zu mehr Ungleichheit“. Denn als Maßstab diene die Entwicklung der Konsumausgaben beim ärmsten Fünftel der Haushalte. Das führe dazu, dass Hartz-IV-Empfänger in Zeiten gesamtwirtschaftlich steigender Reallöhne in der Einkommensverteilung immer weiter zurückfallen. Das könnte verhindert werden, indem die Anpassung an die Entwicklung des Mindestlohns gekoppelt wird. Der Abstand zum niedrigsten Lohn bliebe so unverändert, gleichzeitig würden die Arbeitslosen am steigenden Wohlstand beteiligt.