„Berlin hat im Vergleich zu anderen Bundesländern immer noch eine recht hohe Jugendarbeitslosigkeit“, stellte Markus Striek, Stellvertretender Vorsitzender der AfA Reinickendorf, in seiner Einführung zur Thematik des Abends vor ca. 30 Gästen im Restaurant Maestral fest. Dies sei ein gewaltiges gesellschaftliches Problem, dadurch würden allein in Berlin ca. 16 000 junge Menschen im gesellschaftlichen Abseits stehen – und eine gewichtige Aufgabe für die Sozialdemokraten. An diese mahnenden Worte knüpften auch die drei Podiumsredner an: Dilek Kolat, Arbeits- und Integrationssenatorin in Berlin, Andreas Höhne, Jugendstadtrat in Reinickendorf, sein Kollege Wirtschaftsstadtrat Uwe Brockhausen sowie der Moderator und Reinickendorfer AfA-Vorsitzende, Sven Meyer, alle SPD. Konkrete Maßnahmen zur Verbesserung dieser Situation und zur Senkung der Zahlen jugendlicher Arbeitslosen in Berlin standen im Zentrum der Beiträge. Auf die politischen Gefahren einer hohen Jugendarbeitslosigkeit wies Stadtrat Höhne hin: Die unselige Kette: Arbeitslosigkeit und Armut im Elternhaus – Arbeitslosigkeit der Kinder – fehlende Orientierung an positiven Vorbildern – könne zu politischer Radikalisierung der Jugendlichen führen.
Übergang Schule-Beruf verbessern: Schulen in der Pflicht
Dilek Kolat ging in ihrem Statement nochmals auf die hohe Zahl von jugendlichen Arbeits-losen in Berlin ein. Zwar sei deren Zahl jetzt etwas gesunken, aber ihre Rate sei mit 10% der Jugendlichen bis 25 Jahre doppelt so hoch wie im deutschlandweiten Durchschnitt. Da könne es auch kein Trost sein, dass die Zahlen in Spanien mit 50% und in Griechenland mit 60% mehrfach so hoch seien. Wer ohne beruflichen Abschluss sei, habe ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden, rund 75% der jungen Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Ausbildung.
Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Ausbildung sei eine überlegte und begründete Berufswahl. Grundlage dafür seien umfassende Kenntnisse der Jugendlichen darüber, was sie in dem von ihnen favorisierten Beruf in Ausbildung und Betrieb konkret erwartet. Nahtlos müsse der Übergang von der Schule in die Ausbildung sein, forderte die Senatorin. Hier sind zuallererst die allgemeinbildenden Schulen in der Pflicht, betonte Kolat. Es sei zwar in den letzten Jahren allerhand geschehen mit Informationen, Veranstaltungen und Praktika, das reiche aber noch nicht. Die Gymnasien kümmerten sich entschieden zu wenig um das Thema Berufsorientierung, der Eintritt von Abiturienten in eine Berufsausbildung – gerade auch derjenigen, die am Abitur scheitern – sei bislang geradezu ein Tabuthema. Mit den in vier Bezirken geplanten Jugendberufsagenturen sollen die Jugendlichen besser auf eine richtige Berufswahlentscheidung vorbereitet werden.
Ausbildungsabbrüche verhindern
Markus Striek hatte einleitend die hohe Rate von Ausbildungsabbrüchen von 30% in Berlin erwähnt. Auch wenn Vertragslösungen nicht immer vermeidbar seien, so bringen doch Abbrüche immer Ressourcenverluste mit sich. Dilek Kolat führte die hohen Abbrecherzahlen in Berlin vor allem auf die unzureichenden Kenntnisse der Jugendlichen über die Berufe und die Ausbildung zurück Stadtrat Brockhausen erwähnte hier verschiedene Initiativen in Reinickendorf, die sich erfolgreich um die Verbesserung des Übergangs Schule-Beruf und damit um eine wichtige Voraussetzung für eine Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen kümmern. Darüber hinaus beklagte Brockhausen aber mangelnden Einsatz von Betrieben bei der Ausbildung. Jugendliche brauchen Orientierung und gegebenenfalls auch Hilfe und Unterstützung, etliche Betriebe kümmern sich entschieden zu wenig um ihre Auszubildenden. Stadtrat Höhne wies in diesem Zusammenhang auf ein gesellschaftliches Problem hin: Es sei nicht mehr selbstverständlich, die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten, wenn irgendwo Probleme auftauchen. Gerade deshalb sei es besonders wichtig, den Jugendlichen, aber auch den Älteren, nicht nur eine einzige, sondern auch eine zweite oder dritte Chance zu geben, das trage auch zu der von Sozialdemokraten immer geforderten Chancengleichheit bei.
Nichtausbildende Betriebe in die Verantwortung nehmen
Senatorin Kolat hatte eingangs betont, dass unser duales Ausbildungssystem mit den beiden Standbeinen Betrieb und Berufsschule weltweit anerkannt sei. Sie stellte aber auch mit Bedauern fest, dass der Erfolg ausbleibe, wenn sich die Wirtschaft aus der Ausbildung zurückziehe. Dies gilt besonders für Berlin, hier bilden die Betriebe weniger aus als im Bundesdurchschnitt. Sie appelliere nicht nur bei jeder Gelegenheit an die Betriebe, sich dieser Verantwortung für die Jugendlichen nicht zu entziehen, sondern mit einer ganzen Reihe von speziellen Fördermaßnahmen würden auch Anreize zur Einrichtung von Ausbildungsplätzen und zur Förderung von Jugendlichen in der Ausbildung gegeben. Dennoch sei das Fazit nicht als positiv zu bezeichnen. Uwe Brockhausen forderte hier über reine Appelle hinaus weitergehende Maßnahmen, gegebenenfalls auch mehr Druck auf die Unternehmer. Andreas Höhne erinnerte an die alte Juso-Forderung: „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt“, und damit an die Forderung der SPD nach einer Ausbildungsumlage. Diese sollte die nichtausbildenden Betriebe mit einer Beteiligung an den Ausbildungskosten mit in die Verantwortung für Ausbildung nehmen, wurde aber nie umgesetzt und wäre in einer großen Koalition wohl auch schwerlich zu realisieren. Auch Dilek Kolat meinte, dass man über eine Ausbildungsumlage nachdenken müsse, wenn die landesweite Einrichtung der Jugendberufsagentur nicht zu einer merkbaren Erhöhung der betrieblichen Ausbildungs-plätze führe.
Jugendberufsagentur –
Wichtiges Instrument im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit
Als gute Unterstützung für arbeitslose Jugendliche wertete Dilek Kolat die für Oktober dieses Jahres geplante Einrichtung von zunächst vier bezirklichen Stellen der Jugendberufsagentur. In den zentralen Anlaufstellen sollen Jugendliche nach Hamburger Vorbild unter einem Dach Angebote von Jobcenter, Arbeitsagentur, Jugendamt und Schulen finden. Sie können sich dort über Ausbildungen informieren, coachen lassen, aber auch Transferleistungen beantragen oder Hilfen von Sozialarbeitern in Anspruch nehmen. In diesem Jahr geht es in Friedrichshain-Kreuzberg, Marzahn-Hellerdorf, Spandau und Tempel-hof-Schöneberg los, vom nächsten Jahr an soll es in allen Bezirken Jugendberufsagenturen geben.
Schwerpunkt der Arbeit der Jugendberufsagenturen soll die gezielte Ansprache von unversorgten Jugendlichen und von Jugendlichen ohne Schulabschluss sein, sowohl an den Sekundarschulen als auch an den Gymnasien, immerhin verlassen 1200 Schüler die Oberstufen ohne Abitur. Eine besondere Funktion wird den Schulen zukommen. An allen Sekundarschulen und Gymnasien sollen gemeinsame Teams von Lehrern und Berufsberatern die Berufs- und Studienorientierung verbessern.
Für die Finanzierung der Jugendberufsagenturen stellt der Senat für 2015 1,5 Millionen Euro bereit, für 2016 sind 5,1 Millionen vorgesehen. Denn ohne eine ausreichende Finanzierung werden die Jugendberufsagenturen nicht erfolgreich arbeiten können. Dies stellte abschließend Dilek Kolat fest und fügte hinzu, ebenso wenig ohne mehr betriebliche Ausbildungsplätze. Bei der IHK verspricht man sich von der Jugendberufsagentur, dass mehr Jugendliche direkt den Weg in die duale Ausbildung finden.
Gabi Thieme-Duske